Merle Koelbing untersucht im Rahmen des ReWaM-Projekts WaSiG die potentielle Verdunstung in der Stadt Freiburg
Mein Arbeitstag beginnt meistens so: „Ähm, was ist das eigentlich und was machen Sie damit? Ich habe Sie jetzt hier schon öfter gesehen und jetzt muss ich doch mal fragen…“ Sobald ich irgendwo mit meinem Equipment auftauche, wird mir früher oder später diese oder eine ähnliche Frage gestellt. Gut, wenn es sein muss, dann beantworte ich diese Frage jetzt eben – zum gefühlt tausendsten Mal. Da ich alleine arbeite, freue ich mich aber meistens darüber, wenn jemand stehen bleibt und mir für ein paar Minuten Gesellschaft leistet.
Also, was ist das eigentlich…
Bei meinem Messgerät handelt es sich um eine Klimastation, die auf einem Fahrradanhänger montiert ist. Das sieht ein wenig futuristisch aus und erinnert an den Aufbau eines Google-Street-View-Fahrzeugs. Die Klimastation misst die Lufttemperatur, Luftfeuchte, Windrichtung und Windgeschwindigkeit, die kurzwellige Einstrahlung und die reflektierte kurzwellige Strahlung (die Sensoren sind an einem Ausleger montiert, der für die Fahrt ein- und für die Messung ausgezogen wird), sowie die Infrarottemperatur aus den vier Himmelsrichtungen (am Mast montiert) und von oben und von unten (am Ausleger montiert).
Gezogen wird der „Wagen“, wie ich das alles immer nenne, mit einem E-Bike. Allerdings messe ich nicht einfach während der Fahrt, sondern transportiere die Klimastation damit lediglich an den Ort, an dem die Klimamessungen stattfinden sollen. Dort wird der Anhänger zu einem Handwagen umgebaut und es geht zu Fuß weiter. Und ab da wird es anstrengend: Eine Messkampagne bezieht sich auf einen Straßenzug, in dem sich bis zu acht Standorte befinden, an denen die einzelnen Messungen durchgeführt werden. In einem rotierenden System steuere ich diese acht Punkte in immer derselben Reihenfolge an. Die Messung an jedem einzelnen Standort dauert nur etwa fünf Minuten. Innerhalb einer Stunde werden alle acht Punkte je einmal besucht. Über welche Zeitspanne am Tag die Messungen durchgeführt werden, habe ich von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang abhängig gemacht. In der Sommermesskampagne, die ich kürzlich abgeschlossen habe, waren die Tage dementsprechend lang (11 Stunden). Natürlich steht mir bei so intensiven Arbeiten eine studentische Hilfskraft – also ein HiWi – zur Seite, der mich ablöst oder morgens schon mal anfängt. Wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich war, die ganze Zeitspanne „durchzuziehen“, habe ich die Stunden manchmal auf zwei Tage verteilt. Bei stabilen Wetterlagen kann man das mit gutem Gewissen machen.
Wenn es aber so aussieht, als würde das Wetter am nächsten Tag wechseln, habe ich mich bemüht, den Tag komplett abzudecken. Ich habe zeitweise wie verrückt jede halbe Stunde auf den Wetterbericht geschaut. Je nachdem wie der dann aussah, habe ich versucht, Termine entsprechend zu legen oder zu verschieben, den HiWi doch auf einen anderen Tag oder eine andere Uhrzeit herzubestellen und habe überlegt, wie lange ich wohl noch durchhalte. Manchmal war es so heiß, dass man den Griff vom Handwagen gar nicht mehr anfassen konnte.
Insgesamt bin ich in einer Straße so viele Tage, bis in jeder Stunde an jedem Punkt acht bis zehn Mal gemessen wurde. Wenn alles glatt läuft, ist die Kampagne also nach zehn Tagen abgeschlossen. Mal ehrlich, das klappt nie. Zeit zum Lesen habe ich während den Messungen nicht und auch Musik hören ist schwierig: Wenn das Smartphone als Timer, Taschenrechner, Mailprogramm, Fotoapparat, Wettermelder (o ja!) und Kompass herhalten muss, dann reicht der Strom nur an kurzen Messtagen zum Musikhören. Und irgendwie wird man ja auch ständig was gefragt. Bei jedem neuen Messpunkt muss der Wagen korrekt positioniert werden. Er muss abgestützt werden, damit er nicht kippt. Über ein Kugelgelenk muss der Mast ins Lot und der Ausleger in die Waage gebracht werden. Als letztes wird alles nach Norden orientiert – dann beginnt die eigentliche Messung. Timer starten. Uhrzeit notieren. Fünf Minuten verschnaufen, Notizen machen. Dann alles wieder abbauen. Zu Fuß, das heißt Bordstein runter, Bordstein rauf, um parkende Autos rum, zum nächsten Punkt und dann alles wieder von vorne. Puh. Das mache ich also die ganze Zeit.
Abends heißt es Akkus laden für den Logger, das E-Bike und ganz wichtig: für das Smartphone. Parallel lese ich die Daten aus und speichere sie ab. Für die Messkampagnen habe ich den Wagen und das E-Bike zu mir nach Hause in den Garten geholt, damit ich die Nachbereitungen und Vorbereitungen zeitlich flexibler gestalten kann. Außerdem sind die Messpunkte von mir zuhause aus leichter anfahrbar und ich spare viel Fahrtzeit. Mit so einem empfindlichen, schweren Gerät im Berufsverkehr unterwegs zu sein, ist immer wieder spannend und ich bin froh um jeden Meter, den ich einsparen kann. Durch meine Kinder bin ich zwar E-Bike- und Anhängererprobt, aber die Kinder sitzen fest angeschnallt und gut gefedert hinten drin und ich weiß, was ich ihnen zumuten kann. Beim Messwagen sind wir uns immer noch nicht sicher, wie empfindlich die Elektronik auf Erschütterungen reagiert.
Und wofür das Ganze…
Das Ergebnis sind Tagesgänge im Stundenintervall für jeden Messpunkt, die je nach Bedingungen gemittelt werden. Das wird dann wiederum in Relation zu den kontinuierlichen Beobachtungen einer Referenzstation über den gleichen Zeitraum betrachtet. Daran lässt sich wunderbar erkennen, welchen Einfluss große Bäume, Grünstreifen, Häuserlücken und „nackte“ Straßenabschnitte auf das Klima in einer Straße haben. Nehmen wir z.B. eine Straße, Nord-Süd-orientiert. Auf der östlichen Straßenseite befinden sich in einem Straßenabschnitt hohe Bäume, in einem anderen Straßenabschnitt dagegen keinerlei Vegetation. Betrachtet man nun die maximale Oberflächentemperatur des Asphalts zwischen 14-15h, so kam heraus, dass diese im Mittel im vegetationsfreien Abschnitt ca. 7°C über derjenigen im durch die Bäume zeitweise beschatteten Straßenabschnitt lag (Daten stammen aus dem Zeitraum 13.7. bis 27.7.2016). Für die Lufttemperatur wird ein entsprechender Unterschied von 0.85°C gemessen. Aus diesen klimatischen Beobachtungen wiederum berechne ich später, wie viel Wasser aus dem Boden oder von anderen Oberflächen potentiell unter diesen Bedingungen verdunsten könnte und mit welcher Dynamik. Besonders interessant dabei ist die tatsächlich festzustellende kleinräumig hohe Variabilität. Ich bin jedenfalls ziemlich begeistert von dem, was die Datenauswertung – aktuell noch nicht abgeschlossen – bisher so zeigt.
Leere Akkus, Wackelkontakte, Gewitter, wichtige Termine – ich gebe es ja zu, es gibt leider immer wieder Probleme, die die Arbeit erschweren und verlangsamen und kostbare Zeit stehlen. Da das aber wohl der Normalfall ist, spare ich mir hier die Zeit und berichte darüber nicht im Einzelnen. Vielleicht beim nächsten Mal. Meistens reichen die fünf Minuten gar nicht, um jemandem alles zu erklären, deshalb endet mein „Vortrag“ dann meistens wie folgt: „Ich muss jetzt leider weiter zur nächsten Station, aber falls Sie noch Fragen haben, können Sie gerne noch kurz mitkommen, ich muss nur einmal über die Straße. Oder Sie fragen mich morgen, da bin ich auch wieder da. Tschüss!“
Abends tuen mir die Füße und die Schultern weh und morgens kommt der Muskelkater. Aber ich freue mich, dass ich den ganzen Tag draußen sein kann und nicht am Ende des Sommers mal wieder das Gefühl habe, alles verpasst zu haben und nur im Büro gesessen zu haben. Was mir auch wirklich Freude bei der Arbeit macht, ist der Kontakt zu den Bewohnern der jeweiligen Straße. Manchmal bekomme ich einen Kaffee rausgebracht, ich darf klingeln, wenn ich mal auf die Toilette muss, darf mir mein Wasser auffüllen, ich treffe die Leute, wenn sie ihren Hund ausführen oder ihre Kinder in den Kindergarten bringen oder von dort abholen. Wenn ich mal einen Tag nicht da war, werde ich gleich gefragt, was los war. Fast, als wäre ich dort eingezogen, nur ohne Haus. Mir wird mit großem Interesse und Respekt begegnet. Danke!
Autor: Merle Koelbing
Merle Koelbing promoviert an der Professur für Hydrologie der Universität Freiburg zum Thema “Spatial-temporal impacts of urban structures on micrometeorological variables and local evapotranspiration” im ReWaM-Projekt WaSiG. Hier untersucht sie, welche Auswirkungen städtische Strukturen wie Bebauung und Vegetation auf das in Städten herrschende Klima und die potentielle Verdunstung haben. Gemessen und analysiert werden die Klimavariablen in Freiburg auf Mikro- und Mesoskale. Wenn sie nicht gerade für die Wissenschaft in die Pedale tritt, engagiert sich die studierte Hydrologin für die Familie (2 Kinder) und den Kinder- und Jugendzirkus Ragazzi e.V. in Müllheim.