RedeFluss – Fünf Fragen an: Dr. Martin Wessels, Institut für Seeforschung

In der Serie „RedeFluss“ veröffentlicht ReWaMnet Kurzinterviews mit Beteiligten der BMBF-Fördermaßnahme ReWaM und fragt nach Motivation und Erwartungen. Zu Wort kommen beispielsweise Wissenschaftler, Praktiker und Unternehmer, die in ReWaM eng zusammenarbeiten.

Für die zehnte Ausgabe der Interviewserie fuhr ReWaMnet an den Bodensee und traf sich mit Dr. Martin Wessels vom Institut für Seeforschung in Langenargen (ISF). Der studierte Diplom-Geologe promovierte an der Universität Göttingen zu dem Thema des Abbildes von Klima- und Umweltänderungen in Sedimenten des Bodensees. Für drei weitere Jahre vertiefte Wessels am Limnologischen Institut der Universität Konstanz diese Fragestellungen, und war danach einige Jahre als beratender Geologe erfolgreich freiberuflich tätig. Im Jahr 2001 wechselte er an das ISF. In seiner Rolle als Leiter des Sachgebietes Sedimentologie und Seenphysik sowie stellvertrtenden Institutsleitung ist er fachlich insbesondere für die Themen Seenphysik und Sedimentologie zuständig und zudem Ansprechpartner für Private, Kommunen und andere öffentliche Einrichtungen.

Dr. Martin Wessels, Institut für Seeforschung in Langenargen

Dr. Martin Wessels im Labor mit einem geöffneten Sedimentkern

Der Bodensee ist einer der am besten untersuchten Seen in Europa. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen in den kommenden Jahren und wo sehen Sie weiteren Forschungsbedarf?

Der Bodensee wird sogar als einer der am besten untersuchten Seen der Welt bezeichnet. Ein Thema das uns aktuell stark beschäftigt, sind die Erfolge der Vergangenheit: Durch die Re-Oligotrophierung sind die Fischfangerträge so stark zurückgegangen, dass eine künstliche Nährstoffzufuhr oder auch Aquakulturen im Trinkwasserspeicher Bodensee diskutiert wurden. Für uns vom ISF völlig unvorstellbar. Eine Weile beschäftigen wird uns auch die Frage nach einem genaueren Verständnis der Vorgänge in der Flachwasserzone. In diesem hochkomplexen Lebensraum etwas mehr Prozessverständnis zu gewinnen, ist ja auch ein Ziel des ReWaM-Projektes HyMoBioStrategie.

Zudem möchten wir besser verstehen, warum der gesamte See solch plötzlichen Veränderungen zeigt, wie wir das aktuell beobachten: Ein völlig unerwartetes Massenvorkommen von Stichlingen; eine plötzliche Entwicklung von Blaualgenblüten im oligotrophen See oder auch die immense horizontale Heterogenität sind Schwerpunkte, die wir in den kommenden Jahren gemeinsam mit anderen Institutionen und Universitäten bearbeiten möchten. Daneben gibt es noch viele andere spannende Themen; daran mangelt es auch in einem sehr gut untersuchten System wie dem Bodensee nicht.

Das ReWaM-Projekt SEEZEICHEN baut auf den Erkenntnissen des abgeschlossenen Projekts „Tiefen Schärfe“ auf, das sie über drei Jahre bis 2015 koordinierten. Verfolgen Sie den Forschungsfortschritt in SEEZEICHEN und gibt es Ergebnisse, die Sie überraschen?

Ich bin natürlich froh, dass die Tiefenschärfe-Daten gleich einen wesentlichen Input für weitere drängende Fragestellungen gegeben haben. Im Projekt SEEZEICHEN habe ich vorab nicht erwartet, dass der Grundwassereintrag doch weniger relevant zu sein scheint als ursprünglich vermutet. Wir hatten anfangs die vielleicht etwas naive Vorstellung, dass große Strukturen am Seeboden Anzeichen einer stärkeren Einwirkung von Grundwasserzutritten sein müssten.

Vielleicht hat der Zeitfaktor eine höhere Relevanz als wir das heute beobachten können, also: unter welchen geänderten Umweltbedingungen tritt Grundwasser in den See. Vielleicht ist das von uns mit Sedimentproben beobachtete Zeitfenster von wenigen hundert Jahren zu kurz. Besonders gespannt bin ich natürlich auf die Untersuchungen der Isotopensignaturen der einzelnen Wasserkörper und wie gut die Mischungsprozesse von den Modellrechnungen tatsächlich wiedergegeben werden und so die vorhandenen Prognosemodelle verbessern können.

In Ihrer Rolle als Leiter des Sachgebietes Sedimentologie und Seenphysik am ISF in Langenargen sitzen Sie an der Schnittstelle zwischen angewandter Forschung und der Implementierung von Forschungsergebnissen in die Praxis. Was sind aus Ihrer Sicht die relevanten Stellschrauben für einen gelungenen Praxistransfer?

Eine schwierige Frage. Als stellvertretender Institutsleiter habe ich zum Glück noch etwas Gelegenheit mich mit der Wissenschaft zu beschäftigen, und war auch für ein Jahr an einem Landratsamt tätig, um die „Kundenseite“ kennenzulernen. Ich bilde mir ein, als Ansprechpartner für Kommunen, Behörden und Firmen auch einen einigermaßen guten Einblick über die relevanten Fragestellungen zu haben, auch wenn ich natürlich meine Bodensee-Brille aufhabe.

Bis Forschungsergebnisse tatsächlich in der Praxis und im Verwaltungsalltag ankommen, vergeht doch erhebliche Zeit. Den von ReWaM verfolgten Weg von „Querschnittsthemen“ finde ich gut. Durch die Diskussionen im ReWaM-Querschnittsthema „Wissenstransfer und Praxistransfer“ können frühzeitig Hinweise zur Berücksichtigung der Umsetzbarkeit in der Praxis identifiziert werden. Das ISF engagiert sich in den beiden ReWaM-Projekten  HyMoBioStrategie und SEEZEICHEN. Bereits in der Antragsphase haben wir darauf geachtet, die „Kunden“ und Nutzer unserer erhofften neuen Kenntnisse einzubeziehen. Ein relevantes Problem bleibt aber weiterhin bestehen: Projektkoordinatoren und Mitarbeiter müssten mit der erarbeiteten Expertise den jeweiligen Organisationen eigentlich deutlich über die Projektlaufzeit hinaus zur Verfügung stehen. Für die meisten Drittmittelempfänger ist dies problematisch. Deshalb halte ich es für enorm wichtig, dass die Nutzer sehr früh und intensiv in das Forschungsprojekt eingebunden werden.

Eine weitere Stellschraube ist die  langfristige Datenverfügbarkeit aus den Projekten. Hier könnte ich mir vorstellen, das die Projektträger oder auch das BMBF logistische Unterstützung bei der technischen Umsetzung leisten: Denn jedes Projekt steht vor der Frage, wie und wo Cloudlösungen für einen gemeinsamen Datenzugriff der Projekte realisiert werden können. Eine gemeinsame Plattform würde auch die Vernetzung sowie die nachhaltige Nutzung der Daten fördern.

Mitte Mai führten Wissenschaftler des Projekts HyMoBioStrategie eine intensive Messkampagne rund um den Schiffsanleger in Kressbronn am Bodensee durch. Die Forscher untersuchten den Einfluss der Schifffahrt auf die Hydrodynamik in der Flachwasserzone und deren Auswirkungen auf den Feststoffhaushalt, die Unterwasserfauna sowie die Unterwasservegetation. Gibt es bereits Ergebnisse und wie könnten die Erkenntnisse auf andere Seen übertragen werden?

Für echte und belastbare Ergebnisse ist es natürlich etwas früh, aber ich erwarte eine gute Übertragbarkeit auf andere Seen. Bei uns festigt sich immer mehr der Eindruck, dass vor allem die Berufsschifffahrt im Nahbereich und auch in der Fernwirkung einen erheblichen Einfluss besitzt – auch in einem so großen See wie dem Bodensee. Hierzu hat unsere Intensivmesskampagne in Kressbronn einige Daten zur Mobilisierung der Sedimente, der Ausdehnung und Verweildauer von Trübewolken oder dem Verdriften von Organismen geliefert. Wir sehen auch, dass unsere ursprünglich als Referenzstation gewählte Untersuchungsfläche deutlich von den Wellen der Katamarane beeinflusst wird, obwohl die Schifffahrtslinien weit entfernt liegen. Das haben wir so nicht erwartet. Insofern ist das sicher ein Anlass, auch in anderen Gewässern als dem Bodensee einmal genauer zu gucken, welche Probleme die Berufsschifffahrt in Hinblick auf Sedimentmobilisierung, Erosion und Wellenschlag tatsächlich verursacht, um gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zur Minderung dieser unerwünschten Auswirkungen zu ergreifen. Eine gute Übertragbarkeit sehe ich aber auch im Projekt SEEZEICHEN. Wie im Projekt HyMoBioStrategie werden stark modellbasierte Ansätze verfolgt, sodass, zusammen mit Messungen, ein besseres Verständnis sicher auch in anderen Seen erreicht werden kann.

Sie arbeiten unter anderen mit dem Regierungspräsidium Tübingen intensiv im Bereich der Seeuferrenaturierung zusammen – ein wichtiger Aspekt in dem ReWaM-Projekt HyMoBioStrategie. Der Bodensee ist für viele Menschen ein hoch emotionales Thema: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen von Uferrenaturierungen gesammelt. Welche Formate haben sich bewährt?

Neben den Kollegen im Regierungspräsidium Tübingen arbeiten wir auch eng mit  dem Regierungspräsidiums Freiburg zusammen, und machen jeweils recht ähnliche Erfahrungen. Für sehr wichtig halte ich eine möglichst frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und auch von privaten Naturschutzverbänden. Um die Akzeptanz in der Bevölkerung für das vor vielen Jahren geplante und genehmigte Projekt in Kressbronn zu erhöhen, wurde von der Landesregierung eine „nachgeschaltete Öffentlichkeitsbeteiligung“ als Pilotprojekt mit einem externen Moderator durchgeführt. Auch wenn man sicher nie alle Beteiligten überzeugen wird, kann doch eine gute Akzeptanz des Verfahrens bei vielen Leuten erreicht werden. Das Ziel ist, dass alle Akteure zu dem Schluss kommen: „Ich bin einverstanden (oder auch nicht). Es war eine transparente und nachvollziehbare Entscheidungsfindung“. Ein frühzeitig hinzugezogener Moderator kann hoffentlich helfen, verfahrene Situationen wie in Kressbronn zu vermeiden: dort wurde die Renaturierung bis vor das Bundesverwaltungsgericht beklagt und schließlich abgewiesen. Für alle Beteiligten sicher ein nicht sehr erfreulicher Weg.

Für ein absolutes „No Go“ halte ich, das leider immer noch das gelegentlich zu beobachtende Verhalten, dass auf der Chef-Ebene ein Projekt bzw. dessen Lösung „vorbesprochen“ wird, ohne das die Rahmenbedingungen auf der Ebene der Fachleute genauer bekannt sind. Bei diesem Prozess steigt die Wahrscheinlichkeit von Lösungen, die nicht immer ideal sind, um es vornehm auszudrücken. In der Folge haben alle Beteiligten ungemein viel und unnötige Arbeit mit viel Frustration. Aber das ist zum Glück nicht der Regelfall.

Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte ReWaMnet.

Die BMBF-Fördermaßnahme „Regionales Wasserressourcen-Management für den nachhaltigen Gewässerschutz in Deutschland“ (ReWaM) ist Teil des BMBF-Förderschwerpunktes „Nachhaltiges Wassermanagement“ (NaWaM) im Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ (FONA3).